Exit von langer Hand geplant
In beruflicher Hinsicht war der Schlussmann im VfL-Team
seinerzeit ein Exot. Denn während so gut wie alle Kameraden
bei Volkswagen arbeiteten, wagte Diehl schon früh den Schritt
in die Selbstständigkeit. Als freier Handelsvertreter vertrieb
der gelernte Werkzeugmacher Baumaterialien wie mobile
Trennwände oder Sonnenschutzanlagen. „Auf diesem Wege
hatte ich dann tatsächlich viel mit Volkswagen zu tun, in
etlichen Großraumbüros im Werk stehen mit Sicherheit heute
noch unsere Wände.“ Mit Beginn der 90er Jahre stürzte sich
Diehl verstärkt auf Geschäfte in den Neuen Bundesländern,
denn wie viele andere wurde auch seine Branche nach dem
Mauerfall von einer Goldgräberstimmung erfasst. In dieser Zeit
ließ er den Fußball mehr und mehr los, ehe allmählich auch
die Grundsatzentscheidung zu reifen begann, der Heimat auf
Dauer den Rücken zu kehren. „Irgendwann haben wir gesagt:
Wir machen das und arbeiten ab jetzt darauf hin. Mit einem
Vorlauf von etwa acht Jahren haben wir alles angeschoben,
geplant und Geld zur Seite gelegt.“ Mit einem Freund aus
Helmstedt machte sich Diehl zwischendurch in Kanada ans
Werk, baute mit ihm die alte Scheune zurück und errichtete
binnen sechs Monaten auf 120 Quadratmetern Wohnfläche
das neue Domizil. 2010 schließlich stiegen die drei Diehls in
den Flieger und siedelten um.
Langer Marsch zum Briefkasten
Wenn der Auswanderer seinen heutigen Alltag beschreibt,
dann klingt das mühsam und zugleich zauberhaft schön. „Wir
haben ständig am Haus zu tun und müssen zusehen, dass die
Bude immer warm bleibt. Manchmal fällt der Strom aus, dann
muss der Generator ran. Ganz wichtig ist, dass der Holzspalter
und die Kettensäge immer funktionieren“, erklärt Diehl, der
die Zuwegungen allein schon deswegen freihalten muss, um
zu seinem Briefkasten zu gelangen. Der steht nämlich einen
Kilometer vom Haus entfernt. Den aktuellen Winter empfindet
er als mild, minus 28 Grad in der Nacht nimmt der Niedersachse
inzwischen gelassen. „In den vergangenen Jahren hatten wir
um die minus 35 Grad Tiefsttemperatur, das ist noch mal ein
Unterschied.“ Während sich bis nach Wolfsburg bislang kaum
eine Flocke verirrt hat, kann sich Diehl ganz aktuell an üppigen
Schneemengen und anderem Winterzauber erfreuen. „Die
Rehe kommen bis ans Fenster zu uns, und erst gestern habe
ich auf dem zugefrorenen See ein Adler-Paar beobachten
können. So etwas genieße ich sehr. Toll an dieser Jahreszeit ist
außerdem, dass wir richtig gut Ski fahren können. Unsere Berge
sind nicht gewaltig, aber doch ungefähr so hoch wie im Harz.“
Nicht alle Tiere sind harmlos
Waschbären, Hermelins, Kojoten – so selten Diehl auf zweibeinige
Nachbarn trifft, so viel wildes Leben steckt dennoch
in seiner direkten Umgebung. Im Sommer, der in seinen
Breiten schon mal 30 Grad heiß werden kann, tummeln sich
in seiner Gegend die drolligen Chipmunks. „Die fressen uns
sogar direkt aus der Hand.“ Aber auch mit Tieren, die man
nicht sofort streicheln möchte, ist immer zu rechnen. „Im
Wald bin ich auch schon mal einem Schwarzbären begegnet.
Als er mich gesehen hat, ist er aber einfach umgedreht und
wieder verschwunden.“ Zum vorherigen Leben in Deutschland
wirkt das alles wie ein Gegenentwurf. Befragt nach den
markantesten Unterschieden, überrascht Diehls erste Antwort
deswegen wenig: „Die kanadische Mentalität ist ganz anders
als die deutsche. Die Leute sind geduldiger und lockerer,
Tannen unter sich: Diehl im Februar 2020 vor seinem zugeschneiten Haus.
Wegen solcher Momente ist sich der Helmstedter sicher: „Ich möchte hier für immer bleiben.“
Um den Winterdienst muss sich der Auswanderer selbst kümmern.
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