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Vor 50 Jahren mischten die Wölfe zum einzigen Mal in der Klubgeschichte in einer Bundesliga-Aufstiegsrunde
mit. Seine
privaten Aufnahmen rund um das legendäre Sommerturnier hat VfL-Spieler Jochen Weigel niemals veröffentlicht. Bis jetzt.
Allein für solche Momente hatten sich die Mühen gelohnt.
„Als wir im Bus aufs Gelände fuhren, trauten wir unseren Augen
nicht. Vorm Olympiastadion wartete eine riesige Schlange von
Menschen auf Einlass. Ich weiß noch, wie ich zu Ingo Eismann
sagte: Das wird ja heute eine Bombenkulisse!“, erinnert sich
Jochen Weigel. Festgehalten hat der damalige Außenverteidiger
der Grün-Weißen diese Szene nicht. Dafür aber etliche andere
aus dem Sommer 1970, als der VfL Wolfsburg ernstzunehmende
Anstalten machte, in die erst sieben Jahre alte Bundesliga
einzuziehen. Offenbach, Bochum, Pirmasens, Berlin – von den
Auswärtsreisen der Aufstiegsrunde in die Stadien damals unbekannter
Gegner finden sich sonst kaum Motive in den Archiven.
Umso wertvoller sind Weigels Erinnerungen. Denn der gebürtige
Wolfsburger knipste aus der allerersten Reihe und hielt nicht
nur Spielszenen fest, sondern auch etliche Momente aus dem
innersten Zirkel der Mannschaft. Knapp 50 Jahre lagen seine
Aufnahmen nahezu unbeachtet in verschiedenen Schränken.
Nun aber fand sich im Jubiläum der Aufstiegsrunde ein idealer
Anlass, den Fotoschatz endlich zu heben.
Erstmal ins Regal gestopft
„Ich bin etwas aufgeregt, muss ich gestehen. Schließlich habe ich
die Bilder selbst noch nie gesehen“, sagt Weigel, als er im Januar
2020 in seinem Gifhorner Wohnzimmer erstmals die Abzüge
seiner Aufnahmen in die Hände bekommt. Dass er die Schnappschüsse
in all den Jahren nie hat entwickeln lassen, kann er sich
heute kaum noch erklären. „Ein Stück weit lag es sicher an der
Enttäuschung, dass es am Ende nichts geworden war mit dem
Aufstieg. Von meinen alten Mitspielern hat anschließend auch
niemand mehr nach den Bildern gefragt“, erklärt der 74-Jährige.
Zudem hat sich die Popularität der Technologie, die Weigel
seinerzeit nutzte, über die Jahre merklich abgenutzt. „Dias waren
eine Zeit lang schwer angesagt, sind aber schnell auch wieder
aus der Mode gekommen. Als ich die Kästchen beim Aufräumen
irgendwann wieder in die Hände bekam, war mir der Aufwand
zu groß, die Aufnahmen digitalisieren zu lassen. Wegschmeißen
wollte ich sie aber ebenfalls nicht. Deshalb habe ich sie lieber
meinem alten Verein zugeführt.“
Erster Nachrücker in der Verteidigung
Für diesen Klub, den VfL Wolfsburg, war Weigel von 1969 bis
1971 am Ball. Vom Lokalrivalen 1. FC lotste ihn Imre Farkaszinski
zu den Grün-Weißen. Der ungarische Trainerfuchs hatte über
die Jahre ein immer aufregenderes Team zusammengestellt;
bis heute sind die Namen in Wolfsburg geläufig. Entsprechend
stattlich war in der Truppe die Konkurrenz. Ingo Eismann
und Waldemar Gust auf den Außen, dazu Vorstopper Werner
Wischniowsky und Libero Toni Matz – seiner eingespielten
Defensivachse vertraute der Chefcoach fast über die komplette
Saison. Regelmäßig zum Einsatz kam Weigel, den darüber hinaus
immer wieder Verletzungen plagten, anfangs daher nur in der
Zweiten. „Von Haus aus war ich rechter Außenverteidiger, aber
‚Farka‘ hat mich meistens im Mittelfeld aufgestellt. Ansonsten
kam ich nur zum Zug, wenn Ingo oder Waldemar ausgefallen
sind. Damit hatte ich aber völlig meinen Frieden, denn diese
VfL-Mannschaft hatte einfach Klasse.“
Immer lauteres Klopfen ans Bundesligator
Das Wölfe-Team jener Tage war vielleicht das stärkste, das es bis
dahin jemals gab. Seit 1958 und noch bis 1984 (!) saß Farkaszinski
mit mehreren Unterbrechungen als Chefcoach auf der Bank.
Neun Saisons in Folge von 1966/1967 an bildeten seine Haupt-
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