WÖLFINNEN 55
Meterhohe Schneeberge inmitten von dampfenden Geysiren,
dazu ein paar in Eisbärenfelle gehüllte Wikinger mit langen
Bärten, die in kürzer werdenden Abständen „Huh“ schreien.
Ja, die Rede ist von Island. Nein, mit der Realität hat diese
Szenerie wenig zu tun. VfL-Mittelfeldspielerin Sara Björk
Gunnarsdottir kennt die gängigen Klischees über ihre Heimat.
„Ich wurde schon oft gefragt, ob wir in Schneehäusern
leben“, erzählt die 28-Jährige amüsiert. Die klimatischen
Bedingungen im flächenmäßig zweitgrößten Inselstaat
Europas sind durchaus eine Besonderheit – und das liegt
am Golfstrom. Warmes Meerwasser, das bis an den Rand
des nördlichen Polarkreises transportiert wird, wirkt wie
eine Heizung und sorgt dafür, dass es in Island milder ist als
in anderen Regionen auf dem gleichen Breitengrad. Weht
der Wind von Norden, kann es zwar tatsächlich idyllische
Schneeberge geben. Gerade im Südwesten der Insel, wo
die meisten Menschen leben, herrscht im Winter aber eher
feinstes Schmuddelwetter.
Ein Sommerhaus im Winterparadies
Weil isländische Kinder eben nicht in Iglus großgezogen
werden, dürfte sich Gunnarsdottir so gut an einen jenen
außergewöhnlichen Wintereinbruch in ihrer Kindheit
erinnern, der tatsächlich für Chaos mitsamt geschlossener
Schulen sorgte: „Wir sind den ganzen Tag Schlitten
gefahren, haben den Schnee genossen.“ Ein Erlebnis,
das prägend war, schließlich verbindet sie bis heute nur
Positives mit der vierten Jahreszeit. „Meine Familie hat
ein Sommerhaus mitten in der Natur. Wenn Schnee liegt,
der See zugefroren ist und die Sonne scheint, ist es dort
wie im Paradies.“ Wer Island nur in Sommer oder Winter
kenne, kenne Island eben nicht richtig: „Es ist faszinierend,
wie unterschiedlich sich die Landschaft im Verlauf der
Jahreszeiten präsentiert.“ Gunnarsdottir schwärmt von der
Schönheit ihrer Heimat, die sie nach eigener Aussage erst
in der Ferne wirklich zu schätzen lernte. Keine Frage: Als
Botschafterin des isländischen Tourismusverbands wäre
sie eine Idealbesetzung.
„Ohne Verletzung wäre ich nicht da, wo ich heute bin“
Die Freuden von Schnee und Eis in allen Ehren – beim
Fußballspielen wird Wasser im festen Aggregatzustand
gemeinhin eher als störend empfunden. Auch in Island.
„Wenn Schnee lag, haben wir früher öfter mal im Pferdestall
gekickt“, berichtet Gunnarsdottir von ihren sportlichen
Anfängen im heimischen Hafnarfjördur. „Kunstrasenplätze
gab es damals noch kaum.“ Das Feuer für das größere
runde Leder wurde übrigens von ihrem fußballbegeisterten
Vater entfacht, während ihre Mutter eher die kleinere
Variante – die Rede ist von Handball – bevorzugte. Zwei
Jahre lag Gunnarsdottirs Karriere nach einer schweren
Verletzung allerdings auf Eis: Das gerissene Kreuzband
im rechten Knie durfte erst nach zwölf Monaten operiert
werden und die anschließende Reha benötigte noch einmal
die gleiche Zeitspanne. Es war rückblickend eine entscheidende
Phase: „Ohne die Verletzung wäre ich nicht da, wo
ich heute bin.“ Gunnarsdottir entwickelte einen Ehrgeiz,
der Teil ihrer DNA geworden ist: „Ich musste damals mehr
machen als die anderen, weil ich besser zurückkommen
wollte.“ 14Einheiten pro Woche waren keine Seltenheit –
neben der Schule versteht sich. „Vielleicht hatte ich nicht
das größte Talent, dafür aber den größten Willen. Und das
ist bis heute der Fall.“
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