86 ZEITLUPE
50er
Günter Leich 1954 Erkennbar kein Winterfreund:
VfL-Verteidiger Hugo Lüthe (links).
ZEITUNGSPAPIER IN DEN SCHUHEN
EIN DICKES FELL BRAUCHTE ES IN DEN 50ERN NICHT NUR
AUF DEM RASEN, SONDERN AUCH AUF DEN RÄNGEN
Das Wolfsburg der 1950er Jahre war, vornehm formuliert, nicht
jedermanns Sache. „Als ich hier ankam, bestand die Stadt fast nur
aus Baracken. Alles hat sich noch im Aufbau befunden. Es fuhren
zwar Züge, aber einen Bahnhof gab es noch nicht“, erinnert sich
Günter Leich. Der Mann, der zwei Jahre später mit den Wölfen
Historisches schaffte, blickt zurück ins Jahr 1952. An den Mittellandkanal
hatte es ihn – wie so Viele – verschlagen, um sich über
eine Stelle bei Volkswagen ein neues Leben aufzubauen. Die
Lebensum stände, die der heute 90-Jährige beschreibt, klingen
abenteuerlich. Auf eine der kaum vorhandenen Woh nungen
beispielsweise hatte der aus Merseburg stammende Leich, der
in diesem Moment aus Hildesheim zuzog, keinen Zugriff. Eigene
Wohnungen gab es nämlich nur für Verheiratete. Junggesellen
wie er bekamen statt dessen Plätze in sogenannten Ledigenheimen
zugeteilt, einer Art Jugendherberge für alleinstehende
Männer. Ohnehin schien der Familienstand im biederen Nachkriegsdeutschland
ein bedeutendes Thema zu sein. So habe
auch der VfL ein Interesse an geordneten Verhältnissen gezeigt,
wie etwa Leichs Mitspieler Helmut Bräutigam und dessen Gattin
berichten: Ihnen sei auferlegt worden, die eigene Hochzeit in die
kurze spielfreie Zeit zu verlegen, nämlich in den tiefsten Winter.
Hoffen auf die feste Naht
Der Fußballer Leich, ein hochveranlagter, in der Region
gefürchteter Rechtsaußen, war von Natur aus hart im Nehmen.
„Wir haben einen Schnaps getrunken, dann war uns warm“,
scherzt er auf die Frage nach VfL-Wintererlebnissen. Doch
natürlich sei das Fußballerdasein zur kalten Jahreskalt immer
ein raues gewesen. „Wenn der Platz gefroren war, dann kam ich
noch klar. Das Tauwetter hat mir mehr zu schaffen gemacht. Aber
alles war besser als draußen zu stehen“, weiß Leich und berichtet
von Fans, die sich Zeitungspapier um die Füße wickelten, ehe sie
in die Schuhe gestiegen sind, um die Kälte im Stadion ertragen
zu können. Kurz für Anpfiff wurden Leich, Bräutigam und ihre
Kollegen, die mit dem Aufstieg 1954 eine fünfjährige Erstliga-Ära
einläuteten, intensiv geknetet. Denn Masseure waren ebenso
schon vorhanden wie die auf Schnee heute üblichen roten Bälle –
ein Detail, das man von Original-Fotos freilich nicht ablesen kann.
Genau das übrigens, nämlich die Beschaffenheit des Spielgeräts,
hat Leich in besonderer Erinnerung: „Die Bälle waren noch aus
echtem Leder und damit viel schwerer, wenn es nass gewesen
ist. Je nachdem, wie gut das Ding vernäht war, hatte man dann
schon mal den Abdruck einer rausgequollenen Blase am Leib.“ mg
Heute eher unüblich: Nach Abfpiff geht es direkt übers Spielfeld nach Hause.
Dieses Wintergeschoss möchte man wirklich nicht abgekommen Keeper Hans Bruch freut sich über jede Gelegenheit, in Bewegung zu kommen