„ÜBER DEN STANDARD HINAUS“
DIE WÖLFINNEN HABEN ALS ERSTES DEUTSCHES FRAUENTEAM AN EINER STUDIE ZUR
UNTERSUCHUNG VON SCHÄDEL-HIRN-TRAUMATA TEILGENOMMEN
Zu Saisonbeginn unterzogen sich alle Wölfinnen dem sogenannten
Baseline-Testing, einer neurologischen Untersuchung, welche
Profi-Sportlern dabei hilft, frühzeitig Schädel-Hirn-Traumata
auszuschließen. Bei den Baseline-Tests werden die kognitiven
Fähigkeiten des Gehirns im gesunden Zustand gemessen. Dies
passiert zum einen computerbasiert oder mittels der traditionellen
„Paper-and-pencil“-Methode. Dabei stehen vor allem die gesundheitliche
Vorgeschichte des Sportlers und etwaige körperliche
Beschwerden im Vordergrund. Zum anderen werden bestimmte
Tests zur Überprüfung der Konzentrationsleistung, der Reaktionsgeschwindigkeit
und des Gedächtnisses über einen Zeitraum von
45 bis 60 Minuten durchgeführt. Im professionellen Frauenfußball
liegen bisher nur wenige Ergebnisse vor, „daher war es für uns
selbstverständlich, an den Tests teilzunehmen, da es uns wissenschaftlich
nur voranbringen kann“, erklärt Dr. Christian Schröter,
Mannschaftsarzt der VfL-Frauen. „Uns ist wichtig, im Rahmen der
Prävention mit solchen Maßnahmen die bestmöglichen Voraussetzungen
für die Spielerinnen zu schaffen und Innovation zu setzen.“
Langfristig effektiv
„Durch die Tests können wir Vergleichswerte herstellen. Beispielsweise
kann ein gesunder, gemessener Wert vor einer Verletzung
am Kopf bei einem überdurchschnittlichen Wert von 90 liegen.
Kommt es zu einem Aufprall, könnte er bei 45 liegen“, erklärt
Jennifer Stiefel, Diplom-Psychologin am BG Klinikum Hamburg.
Stiefel ist vornehmlich im Concussion Center Hamburg tätig, einer
speziellen Institution zur Betreuung von Sportlern im Bereich der
Neurologie. Das Concussion Center hat unter der Leitung von
Chefarzt Dr. med. Andreas Gonschorek zusammen mit der Verwaltungs
Berufsgenossenschaft (VBG) sowie Neurologen und Sportwissenschaftlern
die Thematik Schädel-Hirn-Traumata im Sport
verstärkt forciert. Es ist ein Algorithmus entstanden, nach dem
jetzt auch die VfL-Frauen behandelt werden: Ist es während des
Spiels zu einem Zusammenprall gekommen, so wird die betroffene
Wölfin denselben Tests wie zu Saisonbeginn unterzogen und diese
mit den Ergebnissen der ersten Baseline-Untersuchung verglichen.
„Somit könnten wir frühzeitig reagieren, die Spielerin rechtzeitig
behandeln und eventuellen längerfristigen Schäden vorbeugen“,
sagt Stiefel. Auch Mannschaftsarzt Schröter lobt die neue Partnerschaft:
„Wir haben als Verein konkrete Ansprechpartner, mit denen
wir schnell in Kontakt treten können, was für uns ein enormer
Gewinn ist.“ Doch nicht nur im Bedarfsfall bringen die Ergebnisse
einen Nutzen: Auch unabhängig von Verletzungen führen die Grün-
Weißen das Testverfahren am Ende der Saison erneut durch. Somit
könnten neurologische Störungen, die nicht mittels MRT sichtbar
werden, frühzeitig erkannt werden. „Grundsätzlich hilft uns diese
Methode dabei, Sportler nach einer Verletzung schnell wieder fit zu
bekommen und die Ausfallzeit zu reduzieren“, so Stiefel.
„Qualitätsmerkmal des Vereins“
Häufig würden Gehirnerschütterungen im Sport nicht richtig
erkannt, beziehungsweise nicht vollumfänglich behandelt werden,
äußert sich Dr. med. Gonschorek im Hamburger Abendblatt.
Weiter: „In Fußballteams gibt es im Schnitt ein bis zwei Gehirnerschütterungen
pro Saison.“ Wiederholte Gehirnerschütterungen
können dabei schwere Erkrankungen wie Demenz, Parkinson
oder Depressionen auslösen. „Dementsprechend ist es wichtig,
solche Vergleichswerte vor und nach der Saison heranziehen zu
können – unabhängig vom Geschlecht“, erklärt Schröter. Dass
weiß auch Stiefel, die selbst Wasserball als Leistungssport betreibt,
und will daher am Zahn der Zeit ansetzen. Inzwischen betreut sie
deswegen viele Aktive aus den Bereichen Handball, Eishockey,
Football und Fußball – mit dem VfL Wolfsburg die erste Frauenmannschaft.
Omar Rüppel, Leitender Physiotherapeut und Athletiktrainer
der VfL-Frauen, ist glücklich über die neue Maßnahme:
„Uns bedeutet es viel, die erste Frauenmannschaft in Deutschland
zu sein, die in solch umfangreichen Maße an den Tests teilnimmt.
Wir haben uns bewusst dafür entschieden, über den Standard
hinauszugehen und das Thema verstärkt zu forcieren.“ Auch
Schröter hebt die Teilnahme an der Studie, die von allen Spielerinnen
positiv aufgenommen wurde, hervor: „Wir versuchen
stets, über das Mögliche hinauszugehen und das ist uns mit der
Einführung dieses Testverfahrens gelungen. Dies ist ein Qualitätsmerkmal
des Vereins.“ lh
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