EUROPA AM ELSTERWEG
Vor rund 20 Jahren geschah in Wolfsburg Erstaunliches: Mit ihrem erstmaligen Einzug in den UEFA-Pokal verblüfften die
Grün-Weißen nicht nur die Fußballnation. In kurzer Zeit trugen sie sich auch reihenweise in die Geschichtsbücher ein.
Dass ein echter Superstar an den Elsterweg kommt, munkelt man
im Umfeld schon länger. Gut zwei Wochen vor dem Saisonstart
wird aus dem Gerücht dann Gewissheit: Beim großen VfL-Stadionfest
1999 singt niemand Geringeres als Captain Jack. Es werde
„ein Fest der Superlative“, geben die Organisatoren bekannt. „Und
das haben sich unsere Fans“, findet Chefcoach Wolfgang Wolf,
„nach der tollen Unterstützung
in der vergangenen Saison auch
verdient.“ In der der Tat haben das VfL-Team und seine Anhänger
in der Spielzeit 1998/1999 Großes vollbracht. Im zweiten Jahr
nach dem Aufstieg, das gemeinhin als besonders anspruchsvoll
gilt, haben die Wölfe die Bundesliga derart aufmischen können,
dass in der Schlussabrechnung nur fünf Mannschaften vor ihnen
stehen. Bedeutet: Erstmals in der Vereinsgeschichte startet Grün-
Weiß im Europapokal.
Wendepunkt auf dem Betzenberg
„Wir hatten uns sehr gut verstärkt, sind aber holprig gestartet“,
erinnert sich Mathias Stammann an den Spätsommer 1998 und
untertreibt: Nach einer erwartbaren Startpleite gegen die Bayern
(0:1) kommen die Wölfe nicht in die Gänge; mit vier Zählern aus
sieben Partien sind sie vor der zweiten Länderspielpause siegloser
Letzter. Die Stimmung beim VfL, im Vorjahr vom Bild-Kolumnisten
Max Merkel gehässig als „wahrscheinlichster Absteiger der letzten
zehn Jahre“ bezeichnet, ist auf dem Nullpunkt. Erste Gerüchte um
Felix Magath machen die Runde. Der amtierende Cheftrainer Wolf
greift zum eisernen Besen, erklärt nach einem Testspiel gegen
Rot-Weiß Oberhausen das Quartett Uwe Zimmermann, Claudio
Reyna, Marjian Kovacevic und auch Stammann, der seine letzte
Saison im VfL-Trikot spielt, für suspendiert. „Stimmt, da war ich
dabei“, bestätigt Stammann und schmunzelt. Als der Bock umgestoßen
wird, steht der heute 51-Jährige somit nicht auf dem Platz.
Denn in Wolfs vermeintlichem Schicksalsspiel, auswärts beim
amtierenden Meister 1. FC Kaiserslautern, erkämpft sich Grün-
Weiß ein beachtliches 1:1. „Rund um diese Partie muss etwas
Besonderes entstanden sein“, mutmaßt Stammann. „Danach war
die Mannschaft nicht mehr wiederzuerkennen.“
Fast sogar die Königsklasse gebucht
Spät, aber gewaltig kommen die Wölfe in Fahrt. Mit den ersten
Saisondreiern gegen Frankfurt (2:0) und bei München 1860
(3:2) polieren sie ihr Selbstvertrauen dermaßen auf, dass gegen
ein bedauernswertes Mönchengladbach ein 20,5 Jahre gültiger
Rekordsieg gelingt (7:1). Es wird Dezember, ehe mit Bayer Leverkusen
jemand den VfL wieder an einem schwachen Tag erwischt
(0:3). Trotzdem: Mit Neuzugängen wie Charles Akonnor, Claudio
Reyna, Claus Thomsen, Andrzej Juskowiak und Krzysztof Nowak
haben Wolf und Manager Peter Pander eine spannende Truppe
geformt, die schon zum Hinrundenende als Tabellensechster
verblüfft. Und – noch überraschender – sich über die komplette
Rückserie zwischen Kalibern wie dem HSV, Hertha und Dortmund
behauptet. Sogar vorzeitig, durch ein 1:0 über den designierten
Vizemeister Leverkusen tütet die Überraschungsmannschaft
1999 ihre Europa-Premiere im letzten Heimspiel ein. Vor dem
34. Spieltag ist nun glatt noch die Champions League drin. Dass
es statt dessen beim MSV Duisburg eine 1:6-Packung setzt:
geschenkt. „Das wäre des Guten wohl auch zu viel gewesen“,
bekennt Stammann. „Es war sensationell
genug, diese Saison
noch auf einem UEFA-Cup-Platz zu beenden.“
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