schätzung, Kreativität und Achtsamkeit. Sie stellen die Grundpfeiler
unserer Vision der Gemeinschaft sowohl auf als auch neben dem
Platz dar. Und diese Werte fließen dann wieder in die praktischen
Workshops ein, zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen, bei
Spieleabenden, aber auch bei der täglichen Trainingsarbeit.
Haben Sie für Letzteres ein Beispiel?
Coppi: Eine offene und konstruktive Konfliktkultur bei Meinungsverschiedenheiten
oder auch Trainingsformen, welche die Spieler
in kreativen Prozessen selbst entwickeln – das sind nur zwei
Beispiele für zahlreiche Umsetzungsmöglichkeiten.
Wie offen haben die Akademie-Bewohner das Konzept und die
Workshops angenommen?
Thiam: Das Schwierigste ist eigentlich nur zu erklären, was man
möchte. Wir hatten ein Konzept im Hinterkopf, wussten aber noch
nicht genau, ob das funktionieren wird. Unsere Aufgabe nach
den ganzen Workshops war es, die Themen herauszufiltern, die
als wichtig angesehen werden. So haben wir mit dem Thema
Ernährung als Basis angefangen. Da konnte man die Jungs sehr
schnell mit Hilfe einer Ernährungswissenschaftlerin, unseren
Trainern und der ganzen medizinischen Abteilung – auch auf eine
spielerische Art – heranführen.
Die Spieler haben also schnell gemerkt, dass die Workshops
ihnen konkret helfen und ihr Eigeninteresse bedienen?
Thiam: Heutzutage ist die Eigenmotivation das A und O und
unabdingbar – im Sport sowieso. Und im Leben – egal, in welchem
Beruf – gilt doch ebenso: Wenn du etwas erreichen willst, muss
dich niemand wecken, bevor du ins Büro fährst. Du selbst hast
die Verantwortung für dich. Die Jungs müssen wissen, dass es zu
ihrem eigenen Vorteil ist, wenn sie das machen. Wir können sie nur
dahin führen, weshalb es entscheidend war, am Anfang zu fragen:
Was möchtest du?
Wo Regeln gelten, muss es auch Sanktionen bei Nicht- Einhaltung
geben. Können Sie Beispiele geben?
Coppi: Sanktionen hört sich immer so negativ an. Ich würde besser
sagen: Wir motivieren sie. Ein Grundsatz ist: Schule und Ausbildung
geht immer vor. Am wirksamsten kann man unsere jungen
Spieler mit Fußball-Entzug bestrafen: Daher nehmen sie dann zur
Not am Training nicht teil, wenn etwas vorgefallen ist. Oder sie
stehen vorübergehend nicht im Kader – das ist für die meisten die
Höchststrafe.
Thiam: Ich habe zuletzt zwei, die sich gestritten haben, einen
Aufsatz schreiben lassen. Oder auch mal einen eine schriftliche
Entschuldigung an die Lehrerin, nachdem er sich nicht benommen
hatte. Manchmal ist auch ein Gespräch mit den Eltern das Sinnvollste.
Letztendlich geht es aber nicht ums Sanktionieren, sondern
darum, bewusst zu machen, was ein Verhalten letztlich auslöst.
Wir investieren sehr viel – nicht nur finanziell, sondern vor allem
auch emotional und zeitlich –, die Basis der guten Beziehungen
aufrechtzuerhalten. Und da kann ein einzelner Spieler theoretisch
natürlich auch viel von dem kaputtmachen, was man sich über
einen längeren Zeitraum aufgebaut hat.
Was macht das in einem gemeinschaftlichen Prozess
entstandene „Lebens.Wert“-Konzept als ganzheitlichen Ansatz
so innovativ?
Coppi: Die Botschaft ist: Wir wollen nicht einfach nur ein Leistungszentrum
sein. Sondern wir fühlen uns mitverantwortlich für
die persönliche Entwicklung der Spieler. Ich denke, dass es das
nicht so häufig in einem Leistungszentrum gibt, dass Spieler und
Mitarbeiter zu so hohem Anteil darauf Einfluss nehmen, welche
Werte und Maßnahmen umgesetzt werden.
Thiam: Wir wollen und können die eigenen Familien der Jungs
nicht ersetzen. Dennoch wollen wir hier in Wolfsburg ein Zuhause
sein. Ein Zuhause des Rückzugs und der Entfaltung. Ein Zuhause,
in dem jeder einfach sein darf, wie er ist und sich nicht verstellen
muss. Ein Zuhause, in dem man sich sowohl fordern als auch
seine Batterien aufladen darf. In dem es möglich ist, sich auch
mal brüderlich zu streiten und zu messen. Ein Zuhause, zu dem
man immer wieder gemeinsam zueina nder zurückfindet und in
dem man sich wohl und aufgefangen fühlt. Ein Zuhause, an dem
man heranwächst und sich entwickelt. Wir glauben, dass erst die
Kombination aus Persönlichkeit und spielerischer Qualität den
vollkommenen Spieler ausmacht. Wir wollen in unserer Gemeinschaft
die individuellen Wesenszüge erhalten, denn jeder bringt
etwas Eigenes mit und kann hier herausfinden, was er kann und
wo er hinwill. Und generell das Bewusstsein entwickeln, wer er
eigentlich ist. Wenn die Jungs die VfL-Fußball.Akademie eines
Tages verlassen, sollen sie das Gefühl haben, dass unsere Gemeinschaft
immer ihr zweites Zuhause bleiben wird und ein lehrreicher
Ort ist, an den sie immer wieder gerne zurückkehren wollen, weil
wertvolle Methoden fürs Leben vermittelt wurden. or
DIE VfL-FUSSBALL.AKADEMIE
AM BERLINER RING 45
• Gründung 2016, hervorgegangen aus dem seit 2007
bestehenden VfL-Nachwuchsleistungszentrum
• Insgesamt 50.000 qm mit 5 Spiel- und Trainingsplätzen
(2 beheizbare), inkl. Porschestadion
• 2.200 qm Funktions- und Internatsgebäude
• Ganzheitliche Betreuung von derzeit 37 Internatsbewohnern
und weiteren 20 WG-Bewohnern
• Insgesamt 26 Apartments (je 25 qm) für Bewohner
zwischen 13 und 18 Jahren (U15 bis U19)
• U23-Spieler und einige U19-Spieler leben in
eigenen Wohnungen
• Mannschaften von der U11 bis zur U23
• Insgesamt 117 Mitarbeiter inklusive Trainer stäben,
darunter sieben Pädagogen und zwei Sportpsychologen
• Kooperation mit der Eichendorffschule
(„Eliteschule des Fußballs“), Volkswagen Group
Service, StudyHelp
Mehr Infos gibt es hier:
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