„GESPÜR FÜR DEN
UMGANG MIT GANGSTERN“
SPORTÜBUNGSLEITER ANDREAS REHR ÜBER ALLTAG
UND ZWECK EINES GEFÄNGNIS-FUSSBALLTEAMS
Als hauptamtlicher Bediensteter der Gefangenen-Sportabteilung in der JVA Wolfenbüttel ist Rehr (55) Betreuer, Coach und Aufseher
in einer Person. Während der Spiele fungiert der ehemalige Oberliga-Stürmer des Lüneburger SK, von seinen Spielern liebevoll
„Jogi“ genannt, außerdem als Schiedsrichter. Im Kurzinterview gibt er einen Einblick in seine Arbeit.
Andreas Rehr, wie wird man Trainer einer Knast-
Mannschaft?
Andreas Rehr: In meinem Fall nicht gezielt. Ich arbeite
seit 20 Jahren im Vollzug und habe etliche Trainerscheine
gemacht. Da waren auch Disziplinen wie Tischtennis,
Schach und Skat dabei. Fußball ist hinter Gittern aber am
beliebtesten. Momentan bieten wir 19 Sportarten an, die
Arbeit teile ich mir mit meinem Kollegen Mario Loba. Da
ich selbst lange aktiv gespielt habe, liegt diese Rolle für
mich sehr nah.
Im Unterschied zu einem Trainer eines normalen Teams:
Worauf muss man achten?
Rehr: Für den Umgang mit Gangstern braucht man ein
gewisses Gespür und Geschick, weil sie es draußen nicht
hinbekommen haben, sich an Regeln zu halten. Unsere
Spieler kommen aus 15 bis 20 Nationen, es gibt einen
wilden Mix aus Kulturen und Charakteren. Das macht
eine besondere Form der Ansprache nötig. Anders als
herkömmliche Fußballtrainer arbeiten wir sehr stark mit
dem Werkzeug des Belohnungsprinzips.
Wenn er möchte, darf dann jeder Gefangene mitspielen?
Rehr: Im Prinzip schon, aber nicht automatisch mit
Haftantritt. Es gibt einen Beobachtungs- und
Bewährungs z eitraum. Wer sich in dieser Zeit anständig
benimmt, darf einen Antrag stellen und wird dann, falls
dem stattgegeben wird, je nach Fußball erfahrung und
Talent einem unserer drei Teams zugeordnet. Ob
derjenige ein Mörder oder ein Steuerbetrüger ist,
spielt keine Rolle.
Sind da auch schon mal Hochbegabte dabei?
Rehr: Das kommt vor. Ich hatte mal jemanden, der in
der Jugend eines Bundesligisten gespielt hatte. Es war
eine Augenweide, ihn spielen zu sehen. Fast hätten wir
ihn an einen Regionalligisten vermittelt. Leider fehlte
ihm dort die nötige Termindisziplin, deshalb ist die
Sache geplatzt. Ganz viele Spieler sind aber im Zuge
der Resozialisierung auch schon bei kleineren Klubs
in der Region untergekommen.
Wie sieht der Fußballalltag aus, wenn nicht gerade
die VfL-Traditionsmannschaft kommt?
Rehr: Zweimal in der Woche haben wir Training. Und
ab und zu laden wir externe Mannschaften ein. Auch
andere Traditions teams waren schon hier. Außerdem
schaut zum Beispiel regel mäßig die SC Justitia vorbei.
Das ist eine Truppe aus Richtern und Staats anwälten
vom Landgericht Braunschweig. Die Inhaftierten
spielen dann zum Teil gegen diejenigen, sie die
angeklagt oder verurteilt haben.
Welche Funktion hat der Sport hinter Gittern
grundsätzlich?
Rehr: Das Gewöhnen an Regeln ist ein wesentlicher
Faktor. Der Sport ist für uns also ein Element der
Steuerung, um vollzugliche Probleme zu bewältigen. Es
geht auch um noch banalere Dinge wie zum Beispiel die
Körperpflege, die dadurch ein Stück weit gewährleistet
ist. Vor allem haben die Häftlinge aber ein Ventil, um
Dampf abzulassen. Denn 23 Stunden am Tag in der Zelle
vermodern, das möchte niemand.
INTERVIEW
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