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FRESSKORB
VON DEN FANS
Als die Wölfe 1974 in die 2. Liga zogen, hieß ihr Stammkeeper
Michael Maaß. Die VfL-Anhänger musste der Dithmarscher für
sich erst erobern. Widerstände meisterte er auch im Beruf.
Hört man seinen Erzählungen zu, dann muss man sich fast wundern,
dass Michael Maaß von seinem ersten VfL-Trainer immer noch
schwärmt. Nachdem er schon das komplette Mannschaftstraining
mitgemacht hatte, ließ Imre Farkaszinski den Tormann nämlich gern
nachsitzen. „Wenn die anderen schon drin waren, hat er mit mir
weitergemacht. Manchmal war ich so fertig, dass mir schwarz vor
Augen wurde“, erinnert sich Maaß und hat seinen Peiniger mit dem
berüchtigten ungarischen Akzent noch im Ohr. „‘Mischnanski‘, so
nannte er mich, ‚Körper ist schwach, aber Geist willig.‘“ Trotz aller
Qualen konnte der VfL-Keeper der Jahre 1973 bis 1976 dem Drill
etwas abgewinnen. „Ich hatte schon in Itzehoe bewundert, wie fit die
Wolfsburger Siggi Otte und
Ingo Eismann waren. Als
Außenverteidiger hatten die
unsere Stürmer beinahe zu
Abwehrspielern degradiert.
Und auch ich musste feststellen:
So durchtrainiert wie
zu VfL-Zeiten bin ich sonst
niemals gewesen.“
In große Fußstapfen
getreten
Härten auszuhalten und
sich durchzubeißen, das
wurde ein Stück weit sein
Markenzeichen. In Marne,
Kreis Dithmarschen, kam
Maaß auf die Welt. Von der
E- bis zur A-Jugend spielte
er beim örtlichen MTV, ging
mit 18£Jahren dann zum
HSV, wo er als dritter Keeper mit Größen wie Gerd Krug, Willi Schulz
und Uwe Seeler trainierte. Über den Heider SV landete Maaß beim
Itzehoer SV, mit dem er in der Regionalliga Nord besagte Schlachten
mit den Grün-Weißen schlug. Als der VfL ihn lockte, war der junge
Schlussmann schnell überzeugt. „Wolfsburg war ein Spitzenteam,
stand immer unter den ersten Drei. Da habe ich nicht lang überlegt.
Allerdings war es zu Anfang nicht einfach“, gesteht Maaß, der nun
vor der Aufgabe stand, an einem grün-weißen Denkmal zu rütteln,
nämlich an Stammkeeper Dieter Grünsch. „Der war bei den Fans
außerordentlich beliebt. Als ich ihn verdrängte, hat das nicht jedem
gefallen“, erinnert sich Maaß. Mit konstant starken Leistungen nahm
er die Burg aber irgendwann ein. „Einmal kam nach einem guten Spiel
eine Abordnung von fünf Fans auf mich zu, um mir einen großen
Präsentkorb zu überreichen. Das hat mich riesig gefreut.“
Siebziger pur: VfL-Keeper Maaß zwischen Chefknipser Wilfried Kemmer (links) und
Abwehrschrank Wolfgang „Toni“ Matz beim Einlauf zu seinem ersten von 71 Pflichtspielen
für die Wölfe, dem Regionalliga-Heimspiel gegen den VfL Pinneberg am 19. August 1973.
Grün-Weiß gewinnt mit 5:2.
Handwerklich breit aufgestellt
Auch beruflich lief keineswegs alles nach Plan. Als ausgelernter
Konditor begann Maaß 1973 bei Volkswagen in der Gehaltsabrechnung.
Während er parallel für vier Monate die Konditoren-
Meisterschule in Wolfenbüttel besuchte, kümmerte sich der
Schleswig-Holsteiner im Alltag um Personalkonten. Auf Karteikarten
vermerkte er etwa Urlaube, Krankheiten oder Seminare. Wie gut sich
sein Schreibtischjob mit dem Fußball vertrug, wusste Maaß sehr zu
schätzen. „Einige Mitspieler standen am Band, die hatten es deutlich
schwieriger. Ich mochte die Arbeit und hätte Volkswagen nie
verlassen, wenn ich beim VfL geblieben wäre.“ So aber übernahm
Maaß tatsächlich wie angedacht in seiner Heimat die väterliche Konditorei,
musste diese wegen gesundheitlicher Probleme Ende der 80er
allerdings schließen. „Mit 42 Jahren habe ich mich dann noch mal
hingesetzt und den Kopf angestrengt.“ Maaß schulte um zum Sozialversicherungsfachmann
und arbeitete noch 25 Jahre bei der AOK in
Brunsbüttel, wo er als Filialleiter in den Ruhestand ging.
‚Farka‘ auf den Leim gegangen
Den VfL und Volkswagen nach 71 Pflichtspielen in drei Jahren –
davon 27 in der zweiten Liga – zu verlassen, diesen Entschluss
traf Maaß aus privaten Erwägungen: Seine Frau wollte gern in die
Heimat zurück. Sportlich empfand er die Zeit am Elsterweg allemal
als lohnend. „Wir haben vor tollen Kulissen in Bielefeld gespielt, bei
Borussia Dortmund. Auch an unser Trainingslager in Mexiko denke
ich gerne zurück. Es waren unheimlich schöne drei Jahre“, schwärmt
der 70-Jährige. Seine
intensivsten Momente
bei den Grün-Weißen
waren aber wohl immer
noch jene zu zweit –
nämlich allein mit
Farkaszinski in der Sandgrube
im VfL- Stadion.
„Einmal hat es wie aus
Eimern geschüttet. Ich
war durchnässt und verdreckt
und einfach nur
glücklich, als er sagte:
‚Mischnanski, geh rein.‘
Als ich schon abdrehte,
schob er aber noch
hinterher: ‚Hol neue
Trainingsanzug!‘“
Michael Maaß (70) lebt längst wieder in der Heimat, hat
sich für diese Geschichte aber gern an seine drei Jahre
am Elsterweg und bei Volkswagen zurückerinnert.
VfL-Neuzugänge der Spielzeit 1973/1974:
Stürmer Klaus-Dieter Schäfer (links) und
Torwart Michael Maaß.
VOLKSWAGEN 101
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