TOTAL ABGEFAHREN UND
HERRLICH VERRÜCKT
EIN GASTKOMMENTAR VON ENGELBERT HENSEL,
SPORTREDAKTION WAZ
Als Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer an diesem sommerlichen
23. Mai 2009 um 17.21 Uhr abpfiff, da gab‘s kein
Halten mehr! Ganz Wolfsburg war im Freudentaumel, ganz
Wolfsburg war grün-weißer Wahnsinn, ganz Wolfsburg
war eine Mega-Party. Und das alles nach diesem 5:1 gegen
Werder Bremen, nach diesem furiosen Saisonfinale der
Fußball-Bundesliga, an dessen Ende Geschichte geschrieben
wurde – der VfL war zum ersten Mal Deutscher Meister!
Und das war kein Wunder. Total abgefahren und herrlich
verrückt. Wie wir bei der WAZ, als wir vorm ersten Spiel der
Saison gegen Köln die Meisterschale abgedruckt und drüber
geschrieben haben: „Diesmal wollen wir sie auch“!
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Dass diese Trophäe Meisterkapitän Josue wirklich überreicht
werden könnte, davon war nach einer wellenartigen
Hinrunde nicht auszugehen. Aber da war ja noch diese
Rückrunde… Eine unvergessliche, in der Torjäger Edin Dzeko
und Co. mit begeisterndem Offensivfußball dominiert
hatten. Nichts konnte diesen VfL aufhalten. Am Ende waren
es zehn Siege in Folge, eine der längsten Serien dieser Art,
die es in der Bundesliga je gab. Allerdings war der Start
dieser Super-Serie glanzlos, mit einem 2:0 gegen Bochum,
das Dzeko erst kurz vor Schluss erzielte. Doch dann ging die
Post ab. Sieg in Frankfurt (2:0), Sieg gegen Hertha (2:1), Sieg
in Hamburg (3:1), Sieg gegen Karlsruhe (1:0), Sieg gegen
Schalke (4:3), Sieg in Bielefeld (3:0), Sieg gegen die Bayern
(5:1), Sieg in Mönchengladbach (2:1), Sieg gegen Leverkusen
(2:1). Erst in Cottbus (0:2) wurde der VfL gestoppt, um ganz
schnell wieder Fahrt aufzunehmen. Die Rückrunde war
gefühlt ein Dauer-Fußballfest, in der es als Journalist ab und
an mal mehr Zeit brauchte, um den passenden Superlativ für
derart geile Siege wie etwa das 5:1 gegen die Bayern, das
Flutlicht-4:3 gegen Schalke oder das umjubelte 3:1 beim
HSV zu finden.
Dabei war der VfL als Neunter in diese Rückrunde gestartet.
In der jedoch spielte das magische VfL-Dreieck um Zvjezdan
„Zwetschge“ Misimovic, Grafite und eben Dzeko groß auf.
Dazu noch Abfangjäger Josue im Mittelfeld, mit den nimmermüden
Marcel Schäfer und Sascha Riether auf den Außenverteidiger
Positionen, mit Abwehrhüne Alexander Madlung und
Weltmeister Andrea Barzagli als zentralen Abwehrfiguren und
dem stets cool daher kommenden Diego Benaglio, der innerhalb
kürzester Zeit zu einem der besten Bundesliga-Torhüter
aufstieg. Nicht zu vergessen die laufstarken Makoto Hasebe
und Christian Gentner auf den Seiten der Mittelfeld-Raute –
eine Elf, die (fast) jeden Gegner vor größte Probleme stellte.
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Sie sorgten dafür, dass der oft belächelte Klub aus der
120.000-Einwohner-Stadt plötzlich bundesweit ein Thema
war, weil Trainer-Manager Felix Magath ein Team zusammengestellt
hatte, das immer an seine Grenzen ging, Fußball
kämpfen, aber auch Fußball zelebrieren konnte – es machte
einfach Spaß, dieser Mannschaft zuzuschauen. Besonders in
der vorletzten Partie bei Nachbar Hannover 96, als sich der VfL
in einen Rausch spielte. Dzeko (erzielte in der Meister-Saison
26 Treffer) brach mit einem überragenden Dropkick-Treffer
den Bann. Das 5:0, bei dem der Bosnier zwei weitere Treffer
und Grafite (wurde mit 28 Toren damals Bundesliga-Torschützenkönig)
deren zwei erzielte, ist bis heute der höchste
Auswärtssieg der Wolfsburger Bundesliga-Geschichte, er
machte den Weg zur VfL-Meisterschaft frei.
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Und so wurde dieser 23. Mai 2009 ein langer Abend, der
längste seit dem Bundesliga-Aufstieg 1997 in der Auto-
Fußball-Stadt Wolfsburg. In Cabriolets des Klubbesitzers
VW wurden die Spieler in die Stadt gefahren, im Rathaus
durften sie sich ins Goldene Buch eintragen – nach der ersten
VfL-Meisterschaft, die keineswegs ein Wunder war.£
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